Sigurd Wölfe

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Lindesfarne… eine neue Ära

Der Überfall auf das Kloster Lindisfarne am 8. Juni 793 n. Chr. aus sicht eines Wikingers.

Nordsee, vor Lindisfarne – kurz vor Sonnenaufgang, 8. Juni 793

Der Bug des Drachenbootes schnitt durch das dunkle Wasser wie ein Messer durch weiches Fleisch. Harkon stand am vordersten Ende des Schiffes, die Hand um das hölzerne Drachenhaupt gelegt, als könnte er es zügeln wie ein wildes Tier. Das salzige Wasser peitschte ihm ins Gesicht, aber er rührte sich nicht. Er starrte nach vorn, wo hinter dem Nebel eine schmale Silhouette auftauchte – eine Insel, eine Kirche, ein Kloster.

„Da ist es“, murmelte der Steuermann hinter ihm. „Lindisfarne.“

Harkon nickte nur. Er kannte diesen Namen. Der alte Skalde in Trondheim hatte Geschichten erzählt – von einem Ort voller Gold und Bücher, wo Männer in dunklen Kutten beteten und ihre Schätze unter dem Zeichen eines gekreuzigten Gottes sammelten.
Ein Ort ohne Mauern. Ohne Waffen.
Wie gemacht für den ersten Schlag.

Er spürte, wie das Feuer in seiner Brust wuchs. Nicht Zorn – das war es nicht. Es war Hunger. Der Hunger des Nordens, nach Ruhm, nach Beute, nach dem Klang splitternder Türen und dem Flüstern des Ruhmes in den Hallen der Ahnen.

Die Boote glitten fast lautlos ans Ufer. Die Männer sprangen ins seichte Wasser, ihre Äxte auf dem Rücken, Schwerter an der Seite, Helme in der Hand. Harkon war der Erste, der festen Boden betrat. Die Füße in den Sand gerammt, hob er den Blick zur Kirche auf dem Hügel – schlicht, aber stolz.

„Kein Widerstand“, sagte jemand hinter ihm. „Keine Krieger.“

„Dann macht es schnell“, antwortete Harkon.

Er rannte los.

Seine Stiefel klatschten gegen das nasse Gras, das Herz schlug im Takt des alten Kriegslieds, das sein Vater ihm beigebracht hatte. Die Türen der Kirche barsten unter einem einzigen Hieb mit der Axt. Ein Mönch schrie. Ein anderer warf sich schützend vor ein goldenes Kruzifix. Harkon stieß ihn zur Seite wie einen Sack Korn. Er sah keine Menschen – er sah Gegner oder Hindernisse. Und er hatte gelernt: Wer in einer neuen Welt herrschen will, darf keine Gnade kennen.

Doch mitten im Sturm – ein Moment des Zögerns.

Ein Kind, nicht älter als neun Winter, kauerte in einer Ecke. Harkon Blick blieb daran hängen. Das Kind starrte ihn an – nicht mit Angst, sondern mit einer Art trauriger Klarheit.
Für einen Herzschlag lang war es still.

Dann wandte er sich ab.

Er hatte nicht wegen des Kindes gezögert. Es war die Leere hinter dessen Blick, die ihn störte. Keine Wut. Kein Flehen. Nur dieses Wissen: Ihr seid gekommen, und nichts wird je wieder sein wie vorher.

In der Schatzkammer fand er das, was er suchte: Kelche aus Gold, verzierte Bücher mit Lederumschlägen, Edelsteine, Reliquien in silbernen Kapseln. Er griff zu, stopfte ein Tuch voll, schleppte es hinaus. Andere sangen, lachten, trugen Beute über die Schwelle. Die Halle brannte. Der Rauch stieg wie eine Opfergabe zum Himmel.

Später, auf dem Boot, betrachtete Harkon die Insel, die kleiner wirkte, als er sie in Erinnerung behalten würde.
Er fühlte keine Schuld. Auch keinen Stolz.
Nur ein leises, dunkles Wissen: Dies war erst der Anfang.

Und die Götter?
Die waren still.
Aber irgendwo, in Asgards Hallen, hörte man vielleicht ein Lachen.

Zurück…

Nach Oben…

Sigurd Wölfe

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